Leseprobe


Alahrian legte die Hand auf das eiserne Tor. Sofort fühlte er, wie das Metall seine Haut verbrannte, sein Fleisch versengte und zuckende Wellen von Schmerz bis hinauf in seinen Oberarm jagte. Alahrian presste die Kiefer fest aufeinander und versuchte, nicht zu schreien.

 

Das Metall war kalt, Sterbliche hätten es ohne weiteres berühren können, für ihn aber fühlte es sich an, als stünde es unter Feuer. Eisen war wie Gift für die Liosalfar.

 

Doch obwohl ihm die Schmerzen die Tränen in die Augen trieben, ließ er nicht los, drückte stattdessen noch fester zu und ließ winzige Fäden von Licht durch seine verbrannte Handfläche treiben, bis sie in blauer Helligkeit erstrahlte. Der Schmerz sank auf ein erträgliches Maß herab, nun aber trat ihm vor Anstrengung der Schweiß auf die Stirn, während er begann, seine Kräfte mit dem Tor zu verweben. Das Eisen leuchtete jetzt wie seine Haut, weiß-glühende Muster traten unter dem Metall hervor, Zeichen und Bilder und Symbole in einer Sprache, die nicht von dieser Welt war.

 

Alahrian streckte seinen Geist aus und verband ihn mit dem Tor, spann ein dichtes, schimmerndes Netz aus Licht um das Metall, konzentrierte sich auf jeden Winkel, jede Fuge, bis er einen festen, undurchdringlichen Schild errichtet hatte.

Sein Herz raste mittlerweile. Keuchend rang er nach Atem und schloss die Augen, konzentrierte sich ganz auf das Tor, nur auf das Tor, nicht auf seinen rebellierenden, vor Schwäche zitternden Körper.

 

Vorsichtig, behutsam wie mit unsichtbaren Fühlern tasteten seine Gedanken nach dem, was hinter dem Tor lag. Doch er spürte nur Dunkelheit und Stille. Noch ...

Beltaine ... Die Nacht, in der sich die Tore der Sidhe öffneten und die Wesen der Anderswelt in diese Welt eindrangen ... Alahrian konnte nur hoffen, dass Morgan mit ihnen fertig werden würde. Aber Morgan war ein Krieger. Er hatte noch nie versagt, nicht einmal in Hunderten von Jahren. Er war stark.

Alahrian biss sich auf die bebenden Lippen und hoffte, auch er würde stark genug sein. Stark genug, das Tor verschlossen zu halten. Die Hohlen Hügel mochten ihre Pforten öffnen und ausspeien, was sie verbargen, doch dieses Tor musste um jeden Preis gehalten werden.

 

Alahrian lehnte sich gegen das leuchtende, von seiner eigenen Magie erfüllte Metall, obwohl es ihm die Haut verbrannte und sandte seinen Geist noch einmal aus.

Und da sah er es ... Schwarze Schwingen, kalt glänzend wie geschmolzenes Glas, mit Federn so scharf und tödlich wie Rasierklingen aus Obsidian.

 

Alahrian hielt den Atem an. Das Wesen war schön, unglaublich schön ... Dunkelheit umgab es, Schwärze verwischte die Konturen seines Körpers, und doch ... Ihm war, als ertränke er in einem Ozean aus schwarzem Schiefergestein, Finsternis umwogte ihn wie ein erstickender Nebel, doch die Augen des Wesens, lichtschluckend und voller Wildheit, ruhten weiter auf ihm, schön in ihrem Schrecken, wundervoll in ihrem Grauen. Flammen zuckten auf seiner Haut, Alahrian konnte sie beinahe spüren, die Hitze, den Rauch, die Qual.

 

Etwas in seinem Inneren wand sich, getreten wie ein Hund, ein anderer Teil wollte beinahe singen, lachen, tanzen, sich der Dunkelheit entgegenwerfen und sich vom Tod in die Arme schließen lassen.

Das war stets der schwerste Teil.

 

Alahrian ...

Das Wesen rief lautlos seinen Namen. Seine Stimme war wie Donnergrollen, wie ersterbende Sonnen und Monde, die weltenvernichtend aufeinander prallten. Gleichzeitig war sie so verlockend, dass es Alahrian in der Brust schmerzte. Sein Herz krampfte sich zusammen, sein Geist krümmte sich. Ruhe, versprach die unsichtbare Stimme, Stille, keine Schmerzen mehr ...

 

Alahrian biss sich auf die Lippen, bis er sein eigenes Blut auf der Zunge schmeckte. Verzweiflung erfüllte sein Innerstes, Trauer, Wut, Hass, jedes Quantum an negativen Gefühlen, die er je empfunden hatte, drohte in ihm aufzuwallen, sich zu entfesseln, über die Welt hinwegzufegen wie ein Sturmwind.

Alahrian presste die Hand gegen das Tor, schleuderte Licht in Wellen gegen das Metall.

 

Die schwarzen Schwingen erhoben sich, peitschten durch die Nacht.

Lass mich frei ... Du willst es ... Ich weiß es ... Lass mich gehen ...